Was ist eine saisonal-affektive Störung (SAD)?
Der Winter naht.
Und mit ihm zieht eine dunkle Armee langer Nächte auf, die auf ihrem Weg über die Nordhalbkugel die Sonnenstrahlen bezwingt.
Stellen Sie sich nun diese unvermeidliche Dunkelheit vor, die nicht nur das Licht um Sie herum verschlingt, sondern auch die funkelnde Elektrizität dämpft, die normalerweise einige der grundlegendsten Kammern Ihrer Psyche erhellt...
Ihr Erinnerungsmuseum versagt plötzlich darin, Sie an freudige Zeiten zu erinnern. Ihr Esszimmer kontrolliert nicht länger Ihren Appetit. Ihr Aktivitätszentrum kommt Ihrem Wunsch nach neuen Erfahrungen nicht mehr nach. Und Ihr Selbstwertgefühl weigert sich, irgendwelche Ihrer Leistungen oder bewundernswerten Eigenschaften zu zeigen.
Für manche Menschen finden saisonale Veränderungen nicht nur in der Natur, sondern auch im Inneren statt. So wie die Tage dunkler werden, so werden es auch die Gedanken. Wenn die Temperaturen fallen, sinkt auch das Energieniveau.
Dieser Zustand ist als saisonal-affektive Störung (SAD) bekannt, oder, falls Sie das Diagnostische und Statistische Handbuch Psychischer Störungen (DSM) lesen, wird er als „Major Depressive Disorder with Seasonal Pattern“ (Schwere depressive Störung mit saisonalem Muster) bezeichnet.
Die häufigste Form der SAD tritt jeden Herbst oder Winter auf, wenn weniger natürliches Sonnenlicht vorhanden ist, und lässt nach, wenn der Frühling naht. Folglich ist sie bei Menschen, die weit vom Äquator entfernt leben, häufiger. Unbehandelt dauert diese Art der Depression typischerweise etwa 4-5 Monate und zwingt Sie, mehrere der folgenden Symptome zu ertragen:
- gedrückte Stimmung
- Verlust von Interesse oder Freude an fast allen Aktivitäten
- Appetit- und Schlafstörungen
- ungewöhnliche Müdigkeit
- übermäßige Schuld- oder Schamgefühle
- Konzentrationsschwierigkeiten
- und suizidale Gedanken oder Pläne
Obwohl es schwierig ist, genau zu bestimmen, wie viele Menschen von SAD betroffen sind, deuten Studien darauf hin, dass es in gemäßigten Ländern recht häufig vorkommt, dass Menschen in den Wintermonaten eine Verschlechterung der Stimmung und des Energieniveaus erleben. In Deutschland leiden etwa 9 Prozent der Bevölkerung an einer Winterdepression.[1]
Die Forscher verstehen nicht vollständig, warum SAD auftritt. Ein komplexes Zusammenspiel von genetischen, biochemischen, umweltbedingten und kulturellen Faktoren bestimmt, wie jede Person auf saisonale Veränderungen reagiert.
Die meisten Forscher sind sich jedoch einig, dass der Mangel an Tageslicht während der Wintermonate den zirkadianen Rhythmus des Körpers zu stören scheint, was zu Depressionen führt. Diese Theorie wird als Phasenverschiebungshypothese bezeichnet.
Bei einer gesunden Person steigen und fallen Körpertemperatur und Hormonspiegel im Laufe eines Tages und einer Nacht in vorhersagbaren Mustern. Wenn jedoch die Wintertage kürzer werden, können diese natürlichen Rhythmen aus dem Takt geraten. Melatonin – ein Hormon, das dem Körper hilft, den natürlichen Schlaf-Wach-Zyklus aufrechtzuerhalten – scheint eine wichtige Rolle zu spielen.
Melatonin wird in der Zirbeldrüse produziert und macht uns abends schläfrig. Morgens wirkt natürliches Sonnenlicht als Auslöser für das Gehirn, die Melatoninproduktion zu unterdrücken und das Energieniveau zu erhöhen.
Außer bei Menschen mit SAD.
Es wird vermutet, dass das winterliche Morgenlicht nicht stark genug ist, um die Melatoninproduktion bei Menschen mit Winterdepression zu unterdrücken. Wenn Sie von SAD betroffen sind, verbringen Sie Ihre Wintertage mit einem Überschuss an diesem Schlafhormon in Ihrem System. Wach, aber nicht aufmerksam.
Es überrascht nicht, dass das Verhaltensmuster einer Person mit einer im Winter beginnenden SAD mit dem eines Bären in Verbindung gebracht werden kann, der sich auf den Winterschlaf vorbereitet:
- Hypersomnie (deutlich mehr schlafen als üblich und mehr Zeit im Bett verbringen)
- Ein ungewöhnliches Verlangen nach Kohlenhydraten und übermäßiges Essen
- Gewichtszunahme
- Vermeidung sozialer Kontakte (zu Hause bleiben, um zu „überwintern“)
Und es gibt eine andere Art von SAD – eine weitaus seltenere Form. Sie wird durch die Ankunft des Frühlings ausgelöst. Die im Frühling beginnende SAD ist mit einem anderen Verhaltensmuster verbunden. So wie der Bär aus dem Winterschlaf erwacht, können bei Ihnen folgende Symptome auftreten:
- Insomnie (erhebliche Probleme beim Ein- oder Durchschlafen und/oder frühmorgendliches Erwachen)
- Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust
- Unruhe
- Angstzustände
- Agitation
- Gewalttätiges Verhalten
Wie bei allen Formen der Depression reicht es nicht aus, nur die Symptome zu erleben, um eine SAD-Diagnose zu erhalten. Es gelten weitere Kriterien, zum Beispiel:
- Ihre depressiven Episoden müssen über mindestens zwei aufeinanderfolgende Jahre hinweg zu bestimmten Jahreszeiten (z. B. im Winter oder in den Sommermonaten) auftreten.
- Die saisonalen depressiven Episoden müssen deutlich häufiger auftreten als andere depressive Episoden, die Sie möglicherweise zu anderen Zeiten im Laufe Ihres Lebens erlebt haben.
Offensichtlich unterscheidet sich SAD von einem saisonalen Stimmungstief aufgrund von saisonaler Arbeitslosigkeit, den Anforderungen der Feiertage oder anderen Stressfaktoren, die tendenziell zur gleichen Zeit auftreten, in der die dunkle Armee in den Norden einfällt.
Also, wie können wir es vermeiden? Wie halten wir die elektrischen Schaltkreise unseres Gehirns erleuchtet, während die Armee der Dunkelheit unseren liebsten Verbündeten – das Tageslicht – überwältigt?
Nun, ob Sie mit einigen wenigen Symptomen zu kämpfen haben oder an einer voll ausgeprägten depressiven Episode leiden, es gibt viele Therapien und Strategien, die Ihnen bei der Genesung helfen können.
Lichttherapie
Es wird angenommen, dass die im Winter beginnende SAD aufgrund eines Mangels an Sonnenlicht auftritt. Folglich ist es vorteilhaft, Ihrem lichtdürstenden Körper so viel wie möglich davon zu geben.
Menschen mit SAD können durch eine Lichttherapie signifikante Verbesserungen erfahren.
Gemäß der Phasenverschiebungshypothese hilft die Lichttherapie, den zirkadianen Rhythmus des Körpers wiederherzustellen, indem sie ihn mit morgendlichem Licht versorgt.
Doch um die dunkle Armee des Winters zu bekämpfen, benötigen Sie eine weitaus stärkere Waffe als eine gewöhnliche Glühbirne.
Das bei der Lichttherapie verwendete Werkzeug ist eine speziell entwickelte Lichttherapielampe. Sie setzen sich während der Wintermonate jeden Morgen für etwa 30-60 Minuten in ihre Nähe.
Die Lichttherapielampe sollte weißes Vollspektrumlicht mit einer Intensität von mindestens 10.000 Lux abgeben (etwa 20-mal heller als normale Innenbeleuchtung).
Es ist gut belegt, dass die Lichttherapie am Morgen stattfinden sollte und dass das Licht von den Augen aufgenommen werden muss. Licht, das auf die Haut scheint, hat keine Wirkung.
Die meisten Studien zur Lichttherapie zeigen, dass eine Mehrheit der Menschen mit SAD innerhalb von 2 Wochen eine Besserung bemerkt. Für einige kann sie bereits innerhalb einer Woche hilfreich sein, insbesondere wenn sie gleich morgens angewendet wird.
Die Lichttherapie wird als sichere Behandlungsmethode angesehen. Stellen Sie jedoch sicher, dass Sie sich vor dem Ausprobieren mit einem Fachmann beraten. Menschen mit einer zugrunde liegenden bipolaren Störung müssen äußerst vorsichtig sein, da eine intensive Lichtexposition manische Episoden auslösen kann.
Kognitive Verhaltenstherapie für SAD (KVT-SAD)
Die KVT ist eine bekannte Form der Gesprächstherapie, die darauf abzielt, die invasiven negativen Gedanken umzustrukturieren, die depressiv Erkrankte üblicherweise quälen. Zusätzlich hilft Ihnen die KVT, sinnvolle Aktivitäten und Ziele in Ihrem Leben zu identifizieren und zu erreichen, was als Gegenmittel gegen den Verlust von Interesse und Freude wirkt, der mit einer Depression einhergeht.
In den letzten Jahren haben KVT-Praktiker ihre Waffe geschärft, um sie noch wirkungsvoller zu machen. Es gibt jetzt die KVT-SAD mit einem besonderen Fokus auf negative Gedanken, die mit der Dunkelheit, Kälte und anderen Aspekten der Wintersaison zusammenhängen. Die KVT-SAD ist in der Regel über einen Zeitraum von sechs Wochen in zwei wöchentlichen Gruppensitzungen strukturiert.
Die Forschung deutet darauf hin, dass KVT-SAD und Lichttherapie bei der Verbesserung der Winterdepression gleichermaßen wirksam sind. Einige Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Lichttherapie die Symptome schneller verbessert, während die positiven Effekte der KVT-SAD im Laufe der Zeit länger anzuhalten scheinen.
Körperliche Betätigung
Schwitzen, Keuchen und das Anspannen Ihrer Muskeln ist einer der sichersten Wege, die Depression zu besiegen.
Wenn die dunkle Armee in Ihren Geist eindringt, können Sie tatsächlich Ihre körperliche Stärke nutzen, um den Feind abzuwehren.
Zusammen mit unzähligen anderen Forschern im Bereich der psychischen Gesundheit sind Schuch und Kollegen zu dem Schluss gekommen, dass körperliche Betätigung eine evidenzbasierte Behandlung für Depressionen bei Kindern, Erwachsenen und älteren Erwachsenen auf allen Kontinenten der Welt ist.
Sie ist auch präventiv.
In einer beeindruckenden Studie aus dem Jahr 2020 mit 36.595 Teilnehmern fanden Hallgren und Kollegen heraus, dass bereits 1-2 Mal pro Woche Sport das Depressionsrisiko signifikant senkte.
Auch wenn es fast grausam erscheint, dass Sie, wenn Sie in einen dunklen Abgrund aus gedrückter Stimmung und Müdigkeit fallen, joggen und sich nach oben kämpfen sollen – es ist wirksam.
30-45 Minuten körperliche Betätigung 3-4 Mal pro Woche stimulieren das Wachstum neuer Gehirnzellen und schützen das Gehirn vor Depressionen und Angstzuständen.
Für weitere Informationen und Tipps für den Anfang: Alles, was Sie über Sport und Depression wissen müssen
Ernährung
Nur wenige Menschen sind überrascht, dass die Winterdepression ein Verlangen nach Kohlenhydraten auslöst – es erscheint fast „natürlich“ für den Bären in uns, als Vorbereitung auf den Winterschlaf an Wintergewicht zuzulegen. Die weniger bekannte Verbindung zwischen Darmbakterien und psychischer Gesundheit wirft jedoch immer noch einige Fragen auf.
In den letzten Jahren hat die Neurowissenschaft entdeckt, dass der Kampf zwischen Dunkelheit und Licht nicht nur in Ihrem Kopf, sondern auch in Ihrem Magen stattfindet. Was Sie während der Wintermonate essen, wird unweigerlich beeinflussen, wie Sie denken und sich fühlen.
In einem Forschungsartikel mit dem Titel „GUTTED!“ (dt. etwa: Ausgenommen!) erklären Thomas Bastiaansen und seine Kollegen, wie das Gehirn und der Darm über den Vagusnerv verbunden sind – eine Verbindung, die auch als Darm-Hirn-Achse bekannt ist. Magen und Kopf stehen in ständiger Kommunikation miteinander.
Die Neurowissenschaftlerin Dr. Uma Naidoo lehrt Sie, die „guten“ Bakterien in Ihrem Darm mit Ballaststoffen und wichtigen Vitaminen zu füttern, die Ihren Körper vor Entzündungen und damit vor Depressionen schützen.
Eine andere Art von Bakterien – die „schlechten“ Bakterien – gedeihen auf Zucker, Weißmehl, verarbeitetem Fleisch, künstlichen Süßstoffen, Stabilisatoren und Verdickungsmitteln. Eine fett- und zuckerreiche Ernährung verursacht Entzündungen im Körper und erhöht dadurch das Risiko eines durchlässigen Darms, von Panikattacken, Hautausschlägen und Depressionen.
Es gibt also gute Gründe, das Verlangen nach Kohlenhydraten so gut wie möglich zu bekämpfen. Mobilisieren Sie eine Armee aus Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten, Samen, gesunden Fetten und Vollkornprodukten, um einige Ihrer depressiven Symptome zu besiegen.
Für weitere Informationen und Rezepte: Nahrung für das Gehirn bei Depressionen
Hirnstimulation mit tDCS (transkranielle Gleichstromstimulation)
Eine weitere wirksame Methode, die elektrischen Schaltkreise des Gehirns im Kampf gegen die saisonale Depression zu stärken, ist die transkranielle Gleichstromstimulation, kurz tDCS. Diese Technologie zielt direkt auf die Gehirnaktivität ab, die durch die Depression beeinträchtigt ist.
Bei Menschen mit Depressionen ist eine verminderte Aktivität in einem Bereich des Gehirns namens dorsolateraler präfrontaler Kortex (DLPFC) zu beobachten. Das Flow Headset verwendet tDCS, um diesen spezifischen Bereich sanft zu stimulieren. Ein schwacher elektrischer Strom regt die Neuronen an und hilft dabei, die Aktivität auf ein gesünderes Niveau zurückzubringen. Dies kann die Stimmung verbessern und die Symptome der Depression lindern.
Der Vorteil der tDCS-Behandlung mit dem Flow Headset ist, dass sie sicher und einfach von zu Hause aus angewendet werden kann. Anstatt auf einen Termin warten zu müssen, können Sie proaktiv handeln, sobald Sie die ersten Anzeichen der Winterdepression spüren. Dies macht es zu einem wertvollen Werkzeug, um die Kontrolle über Ihr Wohlbefinden während der dunklen Monate zu behalten.
Die Wirksamkeit dieser Art von Hirnstimulation ist gut erforscht. Eine kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Medicine veröffentlichte, groß angelegte Studie bestätigte, dass die tDCS-Heimbehandlung eine effektive und gut verträgliche Option für Menschen mit Depressionen ist.
Für weitere Informationen: Wie Flow bei der Behandlung von Depressionen hilft
Fazit
Auch wenn saisonale Veränderungen eine Herausforderung für Ihre psychische Gesundheit sein können, stehen Sie nicht ohne Verbündete da. Lichttherapie, KVT-SAD, tDCS, Sport und Ernährung sind stark genug, um Sie vor Depressionen zu schützen. In Kombination können sie Sie sogar in eine uneinnehmbare Festung verwandeln.
Hanna Silva
Klinische Psychologin bei Flow Neuroscience
Referenzen:
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- A. Magnusson. Acta Pschisiatrica Scandinavia. 2009;101, 176-184. doi: 10.1034/j.1600-0447.2000.101003176.x.
- Winkler D, Kasper S. Medicographia. 2005;27:247–53.
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- Schuch, FB. PhD; Stubbs, B. PhD. Current Sports Medicine Reports: 2019; 18;8:299-304 doi: 10.1249/JSR.0000000000000620.
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- Bulubas, L., Padberg, F., et al. Horne-geführte transkranielle Gleichstromstimulation bei Depressionen: eine randomisierte klinische Studie. Nature Medicine. 2024.